Latenz des Bildes

 

Die neue Werkgruppe von Andreas Berde

 

Text: Fiona Siegenthaler, Oktober 2007

 

Andreas Berde hat sehr viele Bilder im Kopf. Und noch viel mehr auf seiner Harddisk – mehrere Zehntausend digital, Szene für Szene fotografierte Bilder aus Spielfilmen jeder Gattung. Er verwaltet diese Bilder nicht durch die Zuordnung zum Film, aus dem sie stammen; sein Archiv ist nach Themen gegliedert, denen die Bilder zugewiesen werden. Aus diesem immensen Bildarchiv trifft Berde eine Selektion, die zu einem Gemälde führt, das über ganz andere Eigenschaften verfügt als seine Grundlage. Allein die Medialität verändert den Status des Bildes: War es zuvor noch eines unter Tausenden, wird es durch die Malerei ein Einzigartiges. Während es im Film sozusagen unsichtbar war, weil ein Einzelbild im Filmfluss nicht wahrgenommen werden kann, erfährt es als grossformatiges Gemälde eine aussergewöhnliche Präsenz.

 

Zwischen Vorlage und Gemälde liegt aber noch ein intensiver Arbeitsprozess. In Computercollagen wird das Bild modifiziert, mit bestimmten Elementen ergänzt oder von Motiven befreit. Andreas Berde geht dabei in den verschiedenen Werkgruppen unterschiedlich vor.

Zwischen 2003 und 2006 verwendete er „Zeichen“, ein Ausdruck, den er für weisse, geometrisch anmutende Flächen verwendet, die als Störfaktoren, wie Zensurbalken oder fehlende Pixels dem eigentlichen Bild teilweise überlagert sind. Dadurch rekonstruiert der Betrachter in seiner Vorstellung nicht nur die überdeckte Bildfläche, sondern sieht sich mit der Frage von schriftlicher und ikonischer Zeichenhaftigkeit und deren Bedeutung konfrontiert. Die weisse Fläche macht nur den Anschein, in Form eines „Nichts“ vorhandene Bildwelten auszulöschen, denn sie steht in der Tat - nach einer spezifisch von Berde entwickelten Codierung - für ein Zeichen. Die Entschlüsselung liefert er jedoch nicht mit, so dass jedem einzelnen überlassen ist, darin einen ikonoklastischen Akt, eine bildtheoretische Reflexion oder einen Raum potenzierter, aber latenter Bedeutung zu erkennen.

 

 

 

In der Werkgruppe von 2007 verzichtet Andreas Berde auf die Zeichen und führt deren irritierende Funktion direkt in die Bildkomposition ein. Der Filmstill wird analysiert, eine Selektion von Motiven gewählt und kompositorisch re-inszeniert – dadurch ergibt sich ein Bild, das man durchaus noch mit dem eigentlichen Film assoziieren könnte (sofern man ihn kennt). Es ist aber zugleich ein anderes Bild, das im Zuge seiner Appropriation neu erfunden wurde. Es funktioniert wie eine „fehlerhafte Erinnerung“ – ein Ausdruck, den Andreas Berde im Bezug auf die Zeichenbilder verwendet hat. Die Bilder enthalten wie der vorhergehende Zyklus eine Irritation, die jedoch wesentlich verborgener stattfindet. Keine Zeichen oder Leerflächen überlagern das Bild, sondern eine ungreifbare Latenz, die der Komposition und der Farbgebung innewohnt. Die in Stills oft noch erkennbare filmische Narration wird suspendiert, und die Szenerie wird zu einem eingefrorenen Rätselbild. Dazu tragen kleine, auf den ersten Blick oft unbeachtete Elemente bei: Ein Scheinwerferlicht im Hintergrund nimmt im Verhältnis zur Figur im Vordergrund sonnenähnliche Dimensionen an, ein Schatten stellt die gesamte Strukturierung der Bildebenen in Frage, ein Autofenster wird zu einer skurrilen, extraterrestrischen Erscheinung am Himmel.

 

Die starken, oft fast grellen Farben täuschen eine schnelle, einfache Erfassbarkeit des Bildes vor; wie die Populärkultur versprechen sie den schnellen Konsum einer schönen Welt. Auf den zweiten Blick deutet sich aber ein undefinierter Abgrund an, eine Form psychologischer Hypersensibilität, wie sie vor allem Horror- und Psychofilme zu evozieren vermögen. Es hängt etwas in der Luft, als müsse gleich etwas geschehen, und doch lässt sich nicht sagen, welche Richtung diese latente Narration nehmen wird. So visualisieren die Bilder den „Suspense“, der in Filmen erst durch die Handlung und die Filmschnitte erzielt werden kann.

 

Diese Spannung ist es denn auch, die die Unsichtbarkeit eines einzelnen Filmbildes zu einer bildlichen Präsenz umformuliert, die ihre Zeit der Betrachtung subtil, aber entschieden einfordert. Andreas Berde erkundet gerade durch ein spezifisch visuelles Vorgehen Aspekte der Bildlichkeit, die in der aktuellen Bild- und Medientheorie aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Sprachlichen nur beschränkt in ihrer Komplexität erfasst werden können.

 

Text: Fiona Siegenthaler (Oktober 2007)

Bilder: Andreas Berde